Kriterien für gutes Design, die den Schaden maximieren

Überlegungen zur Kriteriologie des Designs

Im folgenden Beitrag sind Auszüge des Aufsatzes "Kriterien für gutes Design, die den Schaden maximieren. Überlegungen zur Kriteriologie des Designs" aus dem Sammelband "Wie können wir den Schaden maximieren? Gestaltung trotz Komplexität. Beiträge zu einem Public Interest Design".

Indirekt behandelt dieser Aufsatz planetares Design und wie die Kriterien guten Designs hinterfragt werden müssen, damit wir eine nachhaltige Zukunft schaffen können.

Die Akteure des Designs kennen die Probleme der Gegenwart. Sie wissen von der Klimakatastrophe und den gravierenden geologischen Veränderungen anthropogenen Ursprungs. Sie wissen, welche Konsequenzen Überkonsum für die Ärmeren Teile der Erdbevölkerung hat, sie wissen von der Gewalt, Ausbeutung und Ungerechtigkeit, die der westliche Konsum auf Kosten anderer Teile der Weltbevölkerung verursacht. […] Sie wissen, dass Design immer wieder als Mittel für eine Vielzahl von Zwecken genutzt wird, die nicht ihren Absichten entsprechen. […] Sie betonten immer wieder den sozio-politischen, ökologischen oder (umwelt)ethischen Anspruch ihrer Disziplin. Es wurden Manifeste verfasst, Leitfäden geschrieben und Thesen für gutes Design proklamiert. Doch der Erfolg war eher gering, auch wenn das diskursive Echo groß war. Woran liegt es also, dass Design, trotz seinem immer wieder beschworenen Bewusstsein für die Missstände der Welt, aktiv zu ihrer Aufrechterhaltung beiträgt? Wie ist es möglich, dass Design dennoch Ausführgehilfe eines Systems ist, dass, so scheint es, zielgerichtet auf den wirtschaftlichen als auch ökologischen Kollaps zusteuert? Wie ist zu erklären, dass Design so oft seinen eigenen Idealen nicht gerecht werden kann? Ich möchte in diesem Aufsatz die These verfolgen, dass viele Kriterien für ›gutes Design‹ zu dem Schaden erheblich beigetragen haben. Dass sie also, entgegen den Absichten derer, die sie formulierten, nicht zu etwas ›Gutem‹ geführt, sondern viel eher Schäden maximiert haben, anstatt sie zu beseitigen. Was damit gemeint ist, möchte ich in drei Abschnitten exemplarisch an den programmatischen Behauptungen ›gutes Design ist funktional‹, ›gutes Design ist stilvoll‹ und ›gutes Design ist human-centered‹ darlegen.

1. Gutes Design ist funktional

Funktionalität, das erste Bewertungskriterium für ›gutes Design‹, das an dieser Stelle exemplarisch untersucht werden soll, hat insbesondere die deutsche Entwurfspraxis geprägt wie kaum ein anderes. […] Manifestiert hat sie sich schließlich im Funktionalismus, einem dogmatischen Designprinzip, welches besagt, dass sich die Gestalt von Designobjekten primär aus ihrer Funktion ergeben müsse. […] Der Funktionalismus propagierte das Ideal einer rein zweckdienlichen, »rationellen Schönheit«, die seine Vertreter, wie zum Beispiel den Designer und Künstler Max Bill, dazu brachte, zeitweilig jegliches Design abzulehnen, in dem sie etwas anderes »ausser der reinen funktionsbefriedigung« – etwa »spieltrieb«– mitwirken sahen. Nur »funktionelle Gestaltung« könne die Probleme industrieller Gestaltung lösen, so ihre Überzeugung. […] Das Resultat ist eine eigentümliche Designlogik, die auch unabhängig vom Funktionalismus weiterexistiert. Ihr folgend entspricht das Funktionale dem Rationalen, und das Rationale gilt als das qualitativ und moralisch Erstrebenswerte. Im Umkehrschluss bedeutet es jedoch auch, dass improvisierte, emotionale oder intuitive Gestaltung als unterlegen gilt, oder durch vorherrschende Designbegriffe exkludiert wird. […]

Dass das Funktionale nicht in jeder Hinsicht gut ist, offenbart sich jedoch auch unabhängig von der Funktionalismuskritik. So wies Ende der 1980er Jahre der Designhistoriker John A. Walker darauf hin, dass Design im 20. Jahrhundert zwar hochfunktional gewesen sei, dabei jedoch größtenteils im Dienst »gefährlicher Erzeugnisse« wie Kriegstechnologien, Unterdrückungs- und Überwachungsinstrumenten gestanden hätte. […] Das wirksame Design von Google, Instant-Messaging-Diensten wie WhatsApp oder der Social-Media-Plattform Instagram, mitsamt deren Mutterkonzern Facebook, sorgt für Aufsehen. Publikationen, die sich mit dem Design befassen, das User zwanghaft dazu bringt, Aktualisierungsbuttons zu betätigen und Apps aufzurufen, werden zu Bestsellern. Politische Meinungsbildung wird durch das hochfunktionale Zusammenspiel von Design und Algorithmen maßgeblich beeinflusst, Diskussionen werden angeheizt oder unterdrückt. Zugleich […] akkumulieren sich weltweit die ab den späten 1970er Jahren verbreiteten, hochfunktionalen PET-Flaschen mit Plastiktüten und anderen Einwegartikeln aus Plastik zu gigantischen Müllinseln und -bergen, die nicht recycelt werden […]

Wer profitiert von ihrer Funktionalität? Kennzeichnet die hohe Funktionalität all diese Dinge als ›gut‹? Ist das ›gutes Design‹? Und wenn ja, ist ›gutes Design‹ noch gut für uns? Ist ›gutes Design‹ gut für die Erde? Müsste hier nicht von ›einseitiger Funktionalität‹ gesprochen werden? Von ›dysfunktionaler Funktionalität‹? Sollten nicht endlich neue, adäquate Terminologien eingeführt werden, um auf Formen ›rücksichtsloser Funktionalität‹ hinweisen zu können? […] Es geht nicht länger um Funktionalität im Sinne des Funktionalismus, sondern um die ökologisch oder ethisch schwerwiegenden Folgen, welche Design trotz eines hohen Grades an Funktionalität nach sich ziehen kann. Um Folgen, die von Auftraggebern, Herstellern oder Designerinnen und Designern oft nicht berücksichtigt werden. Und Folgen, die oft in die Beurteilung von ›gutem Design‹ nicht einfließen.

2. Gutes Design ist stilvoll

Deutlich formuliert findet sich die Forderung nach einer gewissen Ästhetik zum Beispiel in den bis heute populären 10 Thesen für gutes Design von Dieter Rams. […] Welchen Vorstellungen ästhetisches Design bei ihm unterliegt, verdeutlicht das Credo »less is more«, das bis heute weltweit stilistischen Einfluss übt. Übernommen wurde es etwa für das Design der Apple-Produkte, wo es rasch als Ausweis einer angeblich außergewöhnlichen ästhetischen Qualität galt, […]. Der Stil von Apple gilt als formaler Meilenstein in der Geschichte des Designs und war ein wesentlicher Faktor für die beeindruckend hohen Verkaufszahlen der vergleichsweise teuren Geräte. Personen, die finanziell nicht in der Lage waren, diesen Preis zu zahlen, mussten sich mit vermeintlich ästhetisch minderwertigeren, dafür aber preiswerteren Geräten begnügen. Geräten, die mit der hohen Geschwindigkeit der ästhetischen Ökonomie bald ein ganz ähnliches Design hatten – jedoch fehlte ihnen die Aura des Originals, das Versprechen von Stilsicherheit und Exklusivität. Der iPod oder später das iPhone oder MacBook galten unter Konsumierenden als Ausweis für ein ästhetisches Qualitätsbewusstsein, für guten Geschmack, und auch die Vermarktung der Geräte zielte darauf ab. Das Beispiel Apple mitsamt seiner Design- und Preispolitik verdeutlicht, dass Stil nicht nur ein Mittel zur Konsumförderung ist, sondern auch der Distinktion, der Aus- und Abgrenzung dient. Der Primat des kultivierten Geschmacks und die Vorstellung einer adäquaten Ästhetik, die bis heute in der professionalisierten Designpraxis und vor allem in der Lehre vorherrschen, sind dabei keinesfalls eine neue Entwicklung. Sie haben historische Vorläufer, die viel zu selten im Design thematisiert werden. […]

Die strikten Prinzipien, die das westliche Denken in der Ästhetik formulierte, als es festlegte, was nutzlos, was zweck- und sachdienlich, und vor allem, was schön und was erhaben ist, verfestigten das normative Konzept des kultivierten Geschmacks: »always othering anything that fell through the coarse sieve of the normative Western/Northern aesthetics while presenting its local affective experience as universal.« Es wurden Erzählungen der ›Anderen‹ produziert, die Hierarchien herstellten. An ihrer Spitze stand der ›universelle Europäer‹, der als rational, wissenschaftlich, zivilisiert und stilvoll beschrieben wurde. Unter

ihm standen die als primitiv und körperlich beschriebenen Indigenen. […] Die kolonialistisch geprägte Vorstellung, dass sämtliche Menschen auf der Welt an einer spezifischen westlichen Ästhetik ›genesen‹ müssten, zu ihr geschult oder sogar zu ihr unfähig seien, findet sich auch in zahlreichen Texten des Wiener Architekten Adolf Loos. […] Eine globale stilistische Vereinheitlichung beginnt mit großem Tempo voranzuschreiten – passend zu dem dystopischen Slogan »one world one taste«, mit dem Coca Cola um den Jahrtausendwechsel warb. […] Westliche Stile, das heißt auch westliche Typografien, Icons, Bekleidung, Körpermerkmale, Rituale, Prozesse, Denkweisen et cetera werden weltweit als Standard akzeptiert, nichtwestliche Stile als Abweichung von ihm.

3. Gutes Design ist »human-centered«

Als Drittes möchte ich ›human-centeredness‹ als Bewertungskriterium untersuchen, das Schäden maximiert. Welches, anders als sein Name vermuten lassen könnte, kein humanistisches Designprinzip ist, sondern laut Joseph Giacomin, Direktor des Human-centered Design Institute der Brunel University in London, inzwischen vermehrt als Business-Strategie eingesetzt wird. Entwickelt wurden seine methodischen Grundlagen ursprünglich, um besser verstehen zu können, was Menschen in Interaktionsprozessen wahrnehmen, was sie erfahren, welche Bedeutungen sie dabei kreieren und welche Bedürfnisse darin zum Ausdruck kommen. Genutzt wird Human-centered-Design etwa, um Produkten zu sozialer Akzeptanz oder kommerziellem Erfolg zu verhelfen, aber auch, um die Entwicklung von Markenidentitäten und Geschäftsstrategien voranzutreiben. […]

Eine häufig geäußerte Kritik ist, dass es schlichtweg nicht ›human-centered‹ sei, da nicht der Mensch, sondern Profitmaximierung im Zentrum stünden. […] Aus dieser radikal konsum- oder kapitalismuskritischen Perspektive betrachtet werden Menschen nur in das Zentrum von Design gestellt, um ihre Markenbindung zu intensivieren, ihnen Begehrnisse einzupflanzen, sie von Technologie abhängig zu machen oder sie mit Hilfe dieser auszuspionieren. […] Nicht verschwiegen werden sollte im Zuge dessen aber auch, dass insbesondere aus den Critical Race Studies Kritik an posthumanistischen Ansätzen geübt wird, die sich für ein Decentering des Menschen aussprechen. Wie auch Forlano im Hinblick auf diese Kritik einräumt, hat sich gerade im Design eine universelle Vorstellung von ›Mensch‹ eingeschlichen. Ihr folgend ist der Mensch weiß, männlich, gut situiert und jung – so, wie er global in der Minderheit existiert. Diese exklusive Konstruktion von ›Mensch‹ spiegle sich auch im Human-centered-Design wieder. Zwar beanspruche es im Sinne sämtlicher User zu operieren, habe jedoch nie ein ausreichendes Bewusstsein für Intersektionalität entwickelt. Obwohl es anthropologische Methoden integriert habe, übersteige die Lebensrealität vieler User schlichtweg den Vorstellungshorizont von Designer*innen. Würden sie jetzt zugunsten nicht-humaner Akteure in den Hintergrund treten, würden marginalisierte und subalterne Menschen zuerst von westlichen, und anschließend von post-humanen Akteuren in den Hintergrund gedrängt werden. Es ist aus dieser Perspektive also nur der weiße Mensch, der das Zentrum der Aufmerksamkeit endlich zugunsten anderer freigeben muss. […]

Wie problematisch ist die einseitige Ausrichtung und damit einhergehende Leerstellen der human-centered approaches? Sollte Menschenzentriertheit als Gestaltungskriterium ad acta gelegt werden? Gibt es Korrekturvorschläge? Auf diese Fragen kann keine abschließende oder erschöpfende Antwort gegeben werden. Aber es gibt einige interessante (theoretische) Korrekturvorschläge, von denen ich zwei nennen möchte. Der Designwissenschaftler Richard Buchanan schlug zum Beispiel schon vor fast zwanzig Jahren vor, Human-centered-Design zu einem Designprinzip zu machen, welches auf die Stärkung von Menschenwürde und Menschenrechten abziele, statt auf die Stärkung von Konsum und Markenbindung.  […] Es werden jedoch auch Möglichkeiten diskutiert, den bestehende Ansatz zu korrigieren. So existieren gerade in praxisnahen Diskursen unter dem Schlagwort Humanity-centered-Design Vorschläge, nicht länger ›den Menschen‹, sondern ›die Menschheit‹ in den Fokus zu rücken.

4. Fazit: Zur Kriteriologie des Designs

Wie die drei vorangegangenen Beispiele gezeigt haben, neigt die Berufung auf Bewertungskriterien für Design zur Ausschließlichkeit. Ein Kriterium wird zum Kernprinzip erhoben und andere relevante Kriterien werden vernachlässigt. Doch warum wird die Komplexität ausgeblendet, die berücksichtigt werden müsste, um Kriterien sinnvoll zum Maßstab zu machen? Weshalb werden Kriterien trotz begrenzter Anwendungsbereiche universalisiert? […]

Erstens scheint es an Bewusstsein für den irrationalen und ideologischen Gehalt vieler Designprinzipien zu mangeln, welche die Diskursmacht haben, Kriterien zu etablieren. […] Denn einzelne Kriterien suggerieren bloß, jederzeit verfügbare, objektive Beurteilungsmaßstäbe zu sein, mit denen dafür gebürgt werden kann, dass nicht subjektive Willkür das Beurteilungsinstrument ist. Ihrem Wesen nach sind Kriterien ein Maßstab, welcher der Beurteilung der Richtigkeit oder Angemessenheit von Dingen oder Handlungen dient. Aber nach welchen Kriterien beurteilt das Kriterium diese Richtigkeit? Indem es sich selbst als Maßstab nutzt. Was zweifellos ungenügend ist. Besonders in Anbetracht der Tatsache, dass Kriterien im Design formuliert werden, um über objektive und nachvollziehbare Bewertungsma.st.be zu verfügen.

Als einen weiteren möglichen Grund dafür, dass Bewertungskriterien den Schaden maximieren, möchte ich die Komplexität des Systems anführen, in dem es wirkt. […] Die Hilflosigkeit, mit der nicht nur Disziplinen wie Design der Klimakatastrophe begegnen, bietet ein Beispiel für das Unvermögen auf Ereignisse adäquat zu reagieren, das womöglich der Komplexität des Problems geschuldet ist. […]

Als letzte Ursache dafür, dass Kriterien Schäden maximieren können, möchte ich Verwirrung hinsichtlich ihrer Relationalität nennen. Mit ›Relationalität‹ meine ich den Bezug des Kriteriums, in dem es grundsätzlich und nachvollziehbar stehen muss. Ist dies nicht der Fall, bleibt unklar, worauf es sich bezieht, also was das Kriterium genau beurteilt. Bei Kriterien für ›gutes Design‹ scheint dies mitunter der Fall zu sein, da sich zahlreiche Missverständnisse hinsichtlich der Frage finden, was sie beurteilen. Insbesondere, ob es Kriterien zur Beurteilung der Zwecke von Design sind, oder ob es Kriterien zur Beurteilung der Mittel von Design sind. So erklärt der Wunsch nach Markenbindung von Konsument*innen und Profitsteigerung den Einsatz von Human-centered-Design als Mittel, seine Zwecke kann dies unter anderen Gesichtspunkten – etwa moralischen – nicht unbedingt rechtfertigen. […]

Mara Recklies

zur Website

Mara Recklies ist Philosophin und beschäftigt sich mit Design, insbesondere mit politischen Dimensionen von Gestaltung. Zum Beispiel intersektional-feministische Perspektiven auf Design, die Probleme kapitalistischer Lebensformen und was wir von dekolonialen Denker*innen lernen können.

Kriterien für gutes Design, die den Schaden maximieren

Überlegungen zur Kriteriologie des Designs

Im folgenden Beitrag sind Auszüge des Aufsatzes "Kriterien für gutes Design, die den Schaden maximieren. Überlegungen zur Kriteriologie des Designs" aus dem Sammelband "Wie können wir den Schaden maximieren? Gestaltung trotz Komplexität. Beiträge zu einem Public Interest Design".

Indirekt behandelt dieser Aufsatz planetares Design und wie die Kriterien guten Designs hinterfragt werden müssen, damit wir eine nachhaltige Zukunft schaffen können.

Die Akteure des Designs kennen die Probleme der Gegenwart. Sie wissen von der Klimakatastrophe und den gravierenden geologischen Veränderungen anthropogenen Ursprungs. Sie wissen, welche Konsequenzen Überkonsum für die Ärmeren Teile der Erdbevölkerung hat, sie wissen von der Gewalt, Ausbeutung und Ungerechtigkeit, die der westliche Konsum auf Kosten anderer Teile der Weltbevölkerung verursacht. […] Sie wissen, dass Design immer wieder als Mittel für eine Vielzahl von Zwecken genutzt wird, die nicht ihren Absichten entsprechen. […] Sie betonten immer wieder den sozio-politischen, ökologischen oder (umwelt)ethischen Anspruch ihrer Disziplin. Es wurden Manifeste verfasst, Leitfäden geschrieben und Thesen für gutes Design proklamiert. Doch der Erfolg war eher gering, auch wenn das diskursive Echo groß war. Woran liegt es also, dass Design, trotz seinem immer wieder beschworenen Bewusstsein für die Missstände der Welt, aktiv zu ihrer Aufrechterhaltung beiträgt? Wie ist es möglich, dass Design dennoch Ausführgehilfe eines Systems ist, dass, so scheint es, zielgerichtet auf den wirtschaftlichen als auch ökologischen Kollaps zusteuert? Wie ist zu erklären, dass Design so oft seinen eigenen Idealen nicht gerecht werden kann? Ich möchte in diesem Aufsatz die These verfolgen, dass viele Kriterien für ›gutes Design‹ zu dem Schaden erheblich beigetragen haben. Dass sie also, entgegen den Absichten derer, die sie formulierten, nicht zu etwas ›Gutem‹ geführt, sondern viel eher Schäden maximiert haben, anstatt sie zu beseitigen. Was damit gemeint ist, möchte ich in drei Abschnitten exemplarisch an den programmatischen Behauptungen ›gutes Design ist funktional‹, ›gutes Design ist stilvoll‹ und ›gutes Design ist human-centered‹ darlegen.

1. Gutes Design ist funktional

Funktionalität, das erste Bewertungskriterium für ›gutes Design‹, das an dieser Stelle exemplarisch untersucht werden soll, hat insbesondere die deutsche Entwurfspraxis geprägt wie kaum ein anderes. […] Manifestiert hat sie sich schließlich im Funktionalismus, einem dogmatischen Designprinzip, welches besagt, dass sich die Gestalt von Designobjekten primär aus ihrer Funktion ergeben müsse. […] Der Funktionalismus propagierte das Ideal einer rein zweckdienlichen, »rationellen Schönheit«, die seine Vertreter, wie zum Beispiel den Designer und Künstler Max Bill, dazu brachte, zeitweilig jegliches Design abzulehnen, in dem sie etwas anderes »ausser der reinen funktionsbefriedigung« – etwa »spieltrieb«– mitwirken sahen. Nur »funktionelle Gestaltung« könne die Probleme industrieller Gestaltung lösen, so ihre Überzeugung. […] Das Resultat ist eine eigentümliche Designlogik, die auch unabhängig vom Funktionalismus weiterexistiert. Ihr folgend entspricht das Funktionale dem Rationalen, und das Rationale gilt als das qualitativ und moralisch Erstrebenswerte. Im Umkehrschluss bedeutet es jedoch auch, dass improvisierte, emotionale oder intuitive Gestaltung als unterlegen gilt, oder durch vorherrschende Designbegriffe exkludiert wird. […]

Dass das Funktionale nicht in jeder Hinsicht gut ist, offenbart sich jedoch auch unabhängig von der Funktionalismuskritik. So wies Ende der 1980er Jahre der Designhistoriker John A. Walker darauf hin, dass Design im 20. Jahrhundert zwar hochfunktional gewesen sei, dabei jedoch größtenteils im Dienst »gefährlicher Erzeugnisse« wie Kriegstechnologien, Unterdrückungs- und Überwachungsinstrumenten gestanden hätte. […] Das wirksame Design von Google, Instant-Messaging-Diensten wie WhatsApp oder der Social-Media-Plattform Instagram, mitsamt deren Mutterkonzern Facebook, sorgt für Aufsehen. Publikationen, die sich mit dem Design befassen, das User zwanghaft dazu bringt, Aktualisierungsbuttons zu betätigen und Apps aufzurufen, werden zu Bestsellern. Politische Meinungsbildung wird durch das hochfunktionale Zusammenspiel von Design und Algorithmen maßgeblich beeinflusst, Diskussionen werden angeheizt oder unterdrückt. Zugleich […] akkumulieren sich weltweit die ab den späten 1970er Jahren verbreiteten, hochfunktionalen PET-Flaschen mit Plastiktüten und anderen Einwegartikeln aus Plastik zu gigantischen Müllinseln und -bergen, die nicht recycelt werden […]

Wer profitiert von ihrer Funktionalität? Kennzeichnet die hohe Funktionalität all diese Dinge als ›gut‹? Ist das ›gutes Design‹? Und wenn ja, ist ›gutes Design‹ noch gut für uns? Ist ›gutes Design‹ gut für die Erde? Müsste hier nicht von ›einseitiger Funktionalität‹ gesprochen werden? Von ›dysfunktionaler Funktionalität‹? Sollten nicht endlich neue, adäquate Terminologien eingeführt werden, um auf Formen ›rücksichtsloser Funktionalität‹ hinweisen zu können? […] Es geht nicht länger um Funktionalität im Sinne des Funktionalismus, sondern um die ökologisch oder ethisch schwerwiegenden Folgen, welche Design trotz eines hohen Grades an Funktionalität nach sich ziehen kann. Um Folgen, die von Auftraggebern, Herstellern oder Designerinnen und Designern oft nicht berücksichtigt werden. Und Folgen, die oft in die Beurteilung von ›gutem Design‹ nicht einfließen.

2. Gutes Design ist stilvoll

Deutlich formuliert findet sich die Forderung nach einer gewissen Ästhetik zum Beispiel in den bis heute populären 10 Thesen für gutes Design von Dieter Rams. […] Welchen Vorstellungen ästhetisches Design bei ihm unterliegt, verdeutlicht das Credo »less is more«, das bis heute weltweit stilistischen Einfluss übt. Übernommen wurde es etwa für das Design der Apple-Produkte, wo es rasch als Ausweis einer angeblich außergewöhnlichen ästhetischen Qualität galt, […]. Der Stil von Apple gilt als formaler Meilenstein in der Geschichte des Designs und war ein wesentlicher Faktor für die beeindruckend hohen Verkaufszahlen der vergleichsweise teuren Geräte. Personen, die finanziell nicht in der Lage waren, diesen Preis zu zahlen, mussten sich mit vermeintlich ästhetisch minderwertigeren, dafür aber preiswerteren Geräten begnügen. Geräten, die mit der hohen Geschwindigkeit der ästhetischen Ökonomie bald ein ganz ähnliches Design hatten – jedoch fehlte ihnen die Aura des Originals, das Versprechen von Stilsicherheit und Exklusivität. Der iPod oder später das iPhone oder MacBook galten unter Konsumierenden als Ausweis für ein ästhetisches Qualitätsbewusstsein, für guten Geschmack, und auch die Vermarktung der Geräte zielte darauf ab. Das Beispiel Apple mitsamt seiner Design- und Preispolitik verdeutlicht, dass Stil nicht nur ein Mittel zur Konsumförderung ist, sondern auch der Distinktion, der Aus- und Abgrenzung dient. Der Primat des kultivierten Geschmacks und die Vorstellung einer adäquaten Ästhetik, die bis heute in der professionalisierten Designpraxis und vor allem in der Lehre vorherrschen, sind dabei keinesfalls eine neue Entwicklung. Sie haben historische Vorläufer, die viel zu selten im Design thematisiert werden. […]

Die strikten Prinzipien, die das westliche Denken in der Ästhetik formulierte, als es festlegte, was nutzlos, was zweck- und sachdienlich, und vor allem, was schön und was erhaben ist, verfestigten das normative Konzept des kultivierten Geschmacks: »always othering anything that fell through the coarse sieve of the normative Western/Northern aesthetics while presenting its local affective experience as universal.« Es wurden Erzählungen der ›Anderen‹ produziert, die Hierarchien herstellten. An ihrer Spitze stand der ›universelle Europäer‹, der als rational, wissenschaftlich, zivilisiert und stilvoll beschrieben wurde. Unter

ihm standen die als primitiv und körperlich beschriebenen Indigenen. […] Die kolonialistisch geprägte Vorstellung, dass sämtliche Menschen auf der Welt an einer spezifischen westlichen Ästhetik ›genesen‹ müssten, zu ihr geschult oder sogar zu ihr unfähig seien, findet sich auch in zahlreichen Texten des Wiener Architekten Adolf Loos. […] Eine globale stilistische Vereinheitlichung beginnt mit großem Tempo voranzuschreiten – passend zu dem dystopischen Slogan »one world one taste«, mit dem Coca Cola um den Jahrtausendwechsel warb. […] Westliche Stile, das heißt auch westliche Typografien, Icons, Bekleidung, Körpermerkmale, Rituale, Prozesse, Denkweisen et cetera werden weltweit als Standard akzeptiert, nichtwestliche Stile als Abweichung von ihm.

3. Gutes Design ist »human-centered«

Als Drittes möchte ich ›human-centeredness‹ als Bewertungskriterium untersuchen, das Schäden maximiert. Welches, anders als sein Name vermuten lassen könnte, kein humanistisches Designprinzip ist, sondern laut Joseph Giacomin, Direktor des Human-centered Design Institute der Brunel University in London, inzwischen vermehrt als Business-Strategie eingesetzt wird. Entwickelt wurden seine methodischen Grundlagen ursprünglich, um besser verstehen zu können, was Menschen in Interaktionsprozessen wahrnehmen, was sie erfahren, welche Bedeutungen sie dabei kreieren und welche Bedürfnisse darin zum Ausdruck kommen. Genutzt wird Human-centered-Design etwa, um Produkten zu sozialer Akzeptanz oder kommerziellem Erfolg zu verhelfen, aber auch, um die Entwicklung von Markenidentitäten und Geschäftsstrategien voranzutreiben. […]

Eine häufig geäußerte Kritik ist, dass es schlichtweg nicht ›human-centered‹ sei, da nicht der Mensch, sondern Profitmaximierung im Zentrum stünden. […] Aus dieser radikal konsum- oder kapitalismuskritischen Perspektive betrachtet werden Menschen nur in das Zentrum von Design gestellt, um ihre Markenbindung zu intensivieren, ihnen Begehrnisse einzupflanzen, sie von Technologie abhängig zu machen oder sie mit Hilfe dieser auszuspionieren. […] Nicht verschwiegen werden sollte im Zuge dessen aber auch, dass insbesondere aus den Critical Race Studies Kritik an posthumanistischen Ansätzen geübt wird, die sich für ein Decentering des Menschen aussprechen. Wie auch Forlano im Hinblick auf diese Kritik einräumt, hat sich gerade im Design eine universelle Vorstellung von ›Mensch‹ eingeschlichen. Ihr folgend ist der Mensch weiß, männlich, gut situiert und jung – so, wie er global in der Minderheit existiert. Diese exklusive Konstruktion von ›Mensch‹ spiegle sich auch im Human-centered-Design wieder. Zwar beanspruche es im Sinne sämtlicher User zu operieren, habe jedoch nie ein ausreichendes Bewusstsein für Intersektionalität entwickelt. Obwohl es anthropologische Methoden integriert habe, übersteige die Lebensrealität vieler User schlichtweg den Vorstellungshorizont von Designer*innen. Würden sie jetzt zugunsten nicht-humaner Akteure in den Hintergrund treten, würden marginalisierte und subalterne Menschen zuerst von westlichen, und anschließend von post-humanen Akteuren in den Hintergrund gedrängt werden. Es ist aus dieser Perspektive also nur der weiße Mensch, der das Zentrum der Aufmerksamkeit endlich zugunsten anderer freigeben muss. […]

Wie problematisch ist die einseitige Ausrichtung und damit einhergehende Leerstellen der human-centered approaches? Sollte Menschenzentriertheit als Gestaltungskriterium ad acta gelegt werden? Gibt es Korrekturvorschläge? Auf diese Fragen kann keine abschließende oder erschöpfende Antwort gegeben werden. Aber es gibt einige interessante (theoretische) Korrekturvorschläge, von denen ich zwei nennen möchte. Der Designwissenschaftler Richard Buchanan schlug zum Beispiel schon vor fast zwanzig Jahren vor, Human-centered-Design zu einem Designprinzip zu machen, welches auf die Stärkung von Menschenwürde und Menschenrechten abziele, statt auf die Stärkung von Konsum und Markenbindung.  […] Es werden jedoch auch Möglichkeiten diskutiert, den bestehende Ansatz zu korrigieren. So existieren gerade in praxisnahen Diskursen unter dem Schlagwort Humanity-centered-Design Vorschläge, nicht länger ›den Menschen‹, sondern ›die Menschheit‹ in den Fokus zu rücken.

4. Fazit: Zur Kriteriologie des Designs

Wie die drei vorangegangenen Beispiele gezeigt haben, neigt die Berufung auf Bewertungskriterien für Design zur Ausschließlichkeit. Ein Kriterium wird zum Kernprinzip erhoben und andere relevante Kriterien werden vernachlässigt. Doch warum wird die Komplexität ausgeblendet, die berücksichtigt werden müsste, um Kriterien sinnvoll zum Maßstab zu machen? Weshalb werden Kriterien trotz begrenzter Anwendungsbereiche universalisiert? […]

Erstens scheint es an Bewusstsein für den irrationalen und ideologischen Gehalt vieler Designprinzipien zu mangeln, welche die Diskursmacht haben, Kriterien zu etablieren. […] Denn einzelne Kriterien suggerieren bloß, jederzeit verfügbare, objektive Beurteilungsmaßstäbe zu sein, mit denen dafür gebürgt werden kann, dass nicht subjektive Willkür das Beurteilungsinstrument ist. Ihrem Wesen nach sind Kriterien ein Maßstab, welcher der Beurteilung der Richtigkeit oder Angemessenheit von Dingen oder Handlungen dient. Aber nach welchen Kriterien beurteilt das Kriterium diese Richtigkeit? Indem es sich selbst als Maßstab nutzt. Was zweifellos ungenügend ist. Besonders in Anbetracht der Tatsache, dass Kriterien im Design formuliert werden, um über objektive und nachvollziehbare Bewertungsma.st.be zu verfügen.

Als einen weiteren möglichen Grund dafür, dass Bewertungskriterien den Schaden maximieren, möchte ich die Komplexität des Systems anführen, in dem es wirkt. […] Die Hilflosigkeit, mit der nicht nur Disziplinen wie Design der Klimakatastrophe begegnen, bietet ein Beispiel für das Unvermögen auf Ereignisse adäquat zu reagieren, das womöglich der Komplexität des Problems geschuldet ist. […]

Als letzte Ursache dafür, dass Kriterien Schäden maximieren können, möchte ich Verwirrung hinsichtlich ihrer Relationalität nennen. Mit ›Relationalität‹ meine ich den Bezug des Kriteriums, in dem es grundsätzlich und nachvollziehbar stehen muss. Ist dies nicht der Fall, bleibt unklar, worauf es sich bezieht, also was das Kriterium genau beurteilt. Bei Kriterien für ›gutes Design‹ scheint dies mitunter der Fall zu sein, da sich zahlreiche Missverständnisse hinsichtlich der Frage finden, was sie beurteilen. Insbesondere, ob es Kriterien zur Beurteilung der Zwecke von Design sind, oder ob es Kriterien zur Beurteilung der Mittel von Design sind. So erklärt der Wunsch nach Markenbindung von Konsument*innen und Profitsteigerung den Einsatz von Human-centered-Design als Mittel, seine Zwecke kann dies unter anderen Gesichtspunkten – etwa moralischen – nicht unbedingt rechtfertigen. […]

Mara Recklies

zur Website

Mara Recklies ist Philosophin und beschäftigt sich mit Design, insbesondere mit politischen Dimensionen von Gestaltung. Zum Beispiel intersektional-feministische Perspektiven auf Design, die Probleme kapitalistischer Lebensformen und was wir von dekolonialen Denker*innen lernen können.